Zum blauen Pferd

Sie werden sicher Verständnis haben, sollte er nicht kommen. Selbst ein König kann in einem Moment nicht an mehreren Orten sein. Und bei Besprechungen von politischer Tragweite müssen Termine zurückgestellt werden, die auch ein anderes Mitglied der Königsfamilie wahrnehmen kann. Britt, geben Sie ihm einen doppelten Treber und schreiben Sie es bei mir an!

Oh, wie bringe ich das Monsieur le directeur bei? Unmöglich! Er wird mich im Hotelkeller einsperren!

Ich werde sehen was ich tun kann. Vielleicht kann ich eine Lösung finden. Wenn es allerdings eine Regierungskrise gibt und Neuwahlen drohen, wird der König garantiert nicht für das Matrosenhilfswerk tanzen.

Ich wäre Ihnen in diesem Fall zu grösstem Dank verpflichtet, Monsieur conseiller. Ihre Hilfsbereitschaft ist beeindruckend. Keinesfalls möchte ich jedoch in Ihrer Schuld stehen. Ich werde mich im Gegenteil entsprechend erkenntlich zeigen.

Sie haben jeden Tag offen, was Britt? Wann schlafen Sie eigentlich? Machen Sie mir einen Sprudel.

Ein großes Weizen und ein paar Würstchen, bitte. Ich setze mich gleich hier hin.

Bittesehr. Wohl bekomms! Möchten Sie die Wiederholung der Spätnachrichten sehen?

Nein, nein. Danke. Die Hanseln aus Schloss Philippsburg interessieren mich nicht mehr. Wissen Sie, wenn Sie mich fragen, ist diese Regierung in spätestens einem Monat tot und wir wählen neu. Stuck ist doch eine Vogelscheuche!

Mit dieser Information können Sie in jedem Wettbüro gutes geld machen. Sie dürfen hier so lange über Politik diskutieren, bis es andere Gäste stört. Aber im Grunde haben Sie natürlich völlig recht.

Auf den König! Geben Sie mir noch eins.

Britt schreibt das Abendmenu auf eine speckige Schiefertafel. Heute Abend gibt es livornische Fischsuppe mit Weißbrot und Wildschweinragout mit Waldpilzen.

Am Silvesterabend steigt im blauen Pferd die traditionelle Neujahrsparty. Das Lokal ist festlich dekoriert und es stehen reichlich Sekt und Sandwiches bereit.

Sébastien de Moupillier betritt das blaue Pferd. Guten Abend. Ein Mineralwasser mit Gas und einem Schnitz ungespritzter Limette. Ohne Eis. Danke. Ach, haben Sie frische Erdnüsse? Ich meine damit ungeöffnete.

Jules Pontneuf betritt das Blaue Pferd, lässt sich aus dem Mantel helfen und wird von einem Kellner zu seinem reservierten Tisch geleitet.

Bringen Sie mir schon einmal einen Martini Rosso auf Eis als Aperetiv.

JA. Pontneuf eilt in das Lokal, sieht sich um und entdeckt seinen Bruder im hinteren Bereich des Gästeraumes am Tisch sitzen.

Ah, Jules, alter Hase. Du hast dir ja schon ein Getränk genommen. Wie gehts dir?

Nimm Platz, Bruderherz. Schön, daß du Zeit gefunden hast? Möchtest du auch einen Aperetiv? Du solltest mal etwas entspannen. Im Schloss ist bestimmt ein riesiges Chaos seit der letzten Pressekonferenz, was?

Einen Kurlakov Martini mit fünf Oliven. Nicht nur seit der Pressekonferenz, Jules, nicht nur. Du kannst dir sicher denken, daß das ganze ein längeres Vorspiel hatte... Und wie gehts deiner Kanzlei?

Der Kellner bringt die Speisekarten. Viel zu viel Arbeit und nichts interessantes, lauter langweilige Versicherungsfälle. Ich glaube, ich sollte es wie Julia machen, mich in der Kanzlei beurlauben lassen und mich ganz auf die Politik konzentrieren.

Politik! Ha! Die Politik ist eine Hure. Kannst du mir mal erklären, warum ihr Juristen alle in die Politik wollt? Glaub mir, ich kenne die Politiker in diesem Land wie kein zweiter - das sind alles rückgratlose Oppoturnisten und heuchlerische Lügner. Das ist nichts für dich, Bruder. Hör auf mich.

Du siehst doch, daß das Land geradewegs auf eine Krise zusteuert. Gerade jetzt, wo wir dringend auf eine Konsolidierung unserer Exportwirtschaft angewiesen sind und mit Ceymur die bilateralen Grundlagen für ein Freihandelsabkommen schaffen müssten, gerade jetzt implodiert unsere Regierung und wir ersticken an unseren eigenen innenpolitischen Problemen. Es ist zum heulen! Ein Kellner tritt an den Tisch mit einem fragenden Blick, der bedeutet, daß nun der Zeitpunkt gekommen ist, die Bestellung aufzugeben. Ich nehme die gegrillten Shrimps auf Feldsalat, dann das Vitello Tonnato, das Rindsfilet und zwar seignant, mit Pommes Alumettes, kein Gemüse, aber etwas Weißbrot, ach und die Shrimps ohne Knoblauch. Dann nehmen wir für die Vorspeise den 94er Damois, nicht zu kalt und vor dem Hauptgang werfe ich dann nochmals einen Blick in die Weinkarte.

Stuck ist zäher als du denkst. Für mich eine Consommé mit Ei, ein das Lachs Carpaccio, den Schmorbraten von der Rindsschulter mit Kartoffelstock, mit viel Muskatnuss, und gedünsteter Weißkohl ohne Speckwürfel. Danke. Der bleibt noch lange in Regierungspalais, das sage ich dir.

Stuck ist eine Hanswurst! Der ist doch unfähig. Er hält sich doch nur an der Macht, weil er vom alten Callixt protegiert wird. Ich arbeite viel enger mit ihm zusammen, als du, ich kann beurteilen, wenn ein Mann unfähig ist.

Bleib in deiner Kanzlei. Ganz abgesehen vom Stressfaktor verdienst du dort auch viel besser. Und du wirst zwanzig Jahre älter. Aber du musst es wissen. Wenn du dich mit Stuck anlegst, wird das kein Sonntagsspaziergang. Und ich kann dir nicht helfen, das weisst du. Ich muss unparteiisch bleiben.