Studio Canal 1

Sven Dorsen bereitet die Abendnachrichten vor und liest zwischendurch seine privaten Emails. Aktuelle Nachrichten an einem Sonntag aufzubereiten ist eine undankbare Aufgabe, wenn nichts los ist und keiner das Telefon abnimmt. Der Premier hat zwar ein Interview für die Spätausgabe zugesagt, aber wird garantiert nicht erscheinen, wie man das ja von ihm kennt.

Hier ist Canal 1 mit den Spätnachrichten. Mein Name ist Sven Dorsen. Guten Abend.

Altburg. Die high society der Hauptstadt in seit Wochen in Aufregung. Die Vorbereitungen für den Wohltätigkeitsball im Hotel La Couronne vom 7. November laufen auf Hochtouren. Die Traditionsveranstaltung wird von der Gesellschaft zur Unterstützung mittelloser Seeleute ausgerichtet. Die Einnahmen des Abends kommen wohltätigen Projekten zugute. Beobachter der Szene spekulieren darüber, ob Prinz Philipp am Ball zu sehen sein wird und vor allem mit wem in Begleitung.

Das Innenministerium plant die Einführung einer zentralen Registrierung aller Staatsbürger und Firmen des Königreiches, teilt die Regierung mit. In dem Verzeichnis sollen umfangreiche Daten wie Verwandtschaftsverhältnisse, Religion, Beruf und Wohnort gesammelt werden. Die Regierung spricht von einem enormen Fortschritt in der Verwaltung und Kosteneinsparungen in Millionenhöhe. Liberale Politiker kritisieren die Reform scharf. Sie sehen im geplanten Zentralregister einen Einschnitt in die Informationsfreiheit und eine Aushöhlung des Datenschutzes.

Wir begrüssen nun Premierminister Stuck und schalten direkt in das Palais Amaliensee. Guten Abend Herr Premierminister.

Der Premierminister hat widerwillig zu dem Interview zugesagt. Seine Mitarbeiter haben dafür gesorgt, daß als Hintergrund ein freundliches, helles Bild von einer Wohnzimmerkommode mit hübsch drapierter Kunststoffpflanze verwendet wird.

Sind wir schon auf Sendung? Ich kann nichts hören.

Hören Sie mich, Herr Premierminister?

Ja, ich höre Sie sehr gut. Wie war nochmal die Frage?

Guten Abend, Herr Premierminister. Ihre Regierung möchte den Datenschutz abschaffen und alle Bürger zentral registrieren. Misstrauen Sie Ihrem Volk?

Ah, ja. Schönen guten Abend Herr Dorsen. Das ist doch alles Quatsch. Niemand hat etwas von Misstrauen oder Akten anlegen gesagt. Wir bringen dem Bürger Sicherheit und Einsparungen, die wir für kranke Kinder, Renten und Straßen verwenden.

Liberale Parlamentarier bestreiten die Höhe der Einsparungen und werfen Ihnen vor, alle Bürger pauschal zu kriminalisieren.

Sehen Sie, lieber Herr Dorsen, es ist doch offensichtlich, daß es uns um eines geht: Wir haben dem Wähler versprochen, Prosperität zu schaffen und dieses Versprechen wolle n wir auch halten. Anstatt schnöde Obstruktionspolitik zu betreiben, wie die Opposition, wenden wir uns den Sorgen der Menschen im Land zu. Das ist doch unbestreitbar.

Die Regierung geht es doch nichts an, welche Religion ich habe und wie meine Urgroßmutter in Aurora heisst. Es gibt bereits hunderte von Bürgern, die angekündigt haben, die Angaben zu verweigern. Ihr Vorhaben ist unausgereift. Wann sehen Sie das ein?

Ich sehe ein, daß dieses Land heute nicht da stehen würde, wo es steht, wenn meine Regierung nicht dagewesen wäre. Wir haben die Schulen ausgebaut und die Mehrwertsteuer abgebaut. Wir haben eine glasklare Vision für die Zukunft.

Ist das Projekt Überwachungskartei deswegen so unausgereift, weil Sie mit dem Premieramt und dem Innenministerium eine Doppelbelastung haben?

Solide Politik ist Politik für die Menschen, auch für Sie. Für Sie alle zu Hause. Deshalb bitte ich Sie, wenn ich das nächste mal Seine Majestät um die Auflösung des Unterhauses bitten muss, mir Ihre Stimme zu geben. Für das Königreich. Für den Fortschritt. Dafür stehe ich.

Und nun die Frage, die unsere Hörerinnen und Hörer am meisten interessiert: Mit wem wird Prinz Philipp am Donnerstag auf dem Wohltätigkeitsball erscheinen?

Mit mir sicher nicht. Ich habe zu wenig Haare und ausserdem gefallen dem Prinzen mehr junge Mädchen. Ohne Allüren kann ich sagen, ich stehe zu dem was ich denke und was ich sage. Unsere Politik ist konsequent und geradlinig. Deshalb verfolgen wir unseren Kurs weiter.

Herr Premierminister, vielen Dank für Ihre Antworten.

Vielen Dank, Herr Dorsen.

Die Gendarmerie verzeichnete im letzten Quartal eine Zunahme an Einbrüchen und Einschleichdiebstahlvorfällen. Der zuständige Staatssekretär Meier warnt davor, Türen und Fenster unverschlossen zurückzulassen und empfiehlt die Instalation von Alarm- und Lichtschaltanlagen.

Das war die Spätausgabe der Nachrichten auf Canal 1. Es folgt nun der Kriminalfilm Inspektor Moulin.

Sind wir noch auf Sendung? Hallo?

Das Interview ist beendet. Ihre Mitarbeiter helfen Ihnen gerne, die Leitung auszuschalten.

Meine Damen und Herren, Sie hören nun die Ansprache Seiner Majestät des Königs zum Neuen Jahr. Sie wird aus der Bibliothek des Schlosses übertragen. Im Anschluss vertont das Königliche Kammerorchester unter der Leitung von Hofrat Nicolas Coupet die Königshymne.

Liebe Untertanen des Königreiches

Heute geht wieder ein Jahr zu Ende - ein Jahr das viel Veränderungen für unser Land mit sich gebracht hat. Viele von Ihnen fragen sich vielleicht gerade in diesen Tagen: Wo soll es hingehen? Was wird die Zukunft bringen? Viele Anzeichen der Unsicherheit, gerade auch in den letzten Wochen, machen diese ängstlichen Zukunftsfragen verständlich. Die weltpolitische Lage, die Situation des Arbeitsmarktes, individuelle Schiksalsschläge und vieles andere. Nicht immer haben die Verantwortlichen, haben die Politiker dazu beigetragen, diese Ängste abzubauen. Doch wenn wir auf das neue Jahr blicken, das vor uns steht, haben wir viel Grund zu Hoffnung und Zuversicht. Wir sind ein starkes und erfolgreiches Land. Unsere Besonnenheit, unser Zusammenhalt und der feste Wille zum Erfolg gerade in schwierigen Zeiten, haben uns schon in schwereren Zeiten stets getragen. Wenn wir den Zusammenhalt und die gegenseitige Unterstützung in unseren Familien, in der Nachbarschaft, am Arbeitsort und in der Gesellschaft pflegen und diese Werte hochalten, wird uns das Jahr 2014 Glück und Segen bringen. Ich wünsche Ihnen allen von Herzen ein gesegnetes, erfolgreiches und gelungenes neues Jahr.

Gott segne Sie alle. Gott segne das Königreich.


Das Königliche Kammerorchester spielt die Nationalhymne.

Dorsen wird frisch gepudert, während die Aufzeichnung des Orchesters übertragen wird.

Was für ein nichtssagender Quatsch. Das hat bestimmt der Premier geschrieben.

August Stuck spricht einem vor dem Regierungspalais auflungernden Journalisten des Canal 1 eine kurze Erklärung ins Mikrophon: Das Verhalten der Föderalisten im Unterhaus während der jüngsten Tage ist beispiellos. Ich habe nach sorgfältiger Überlegung entschieden, eine Regierung ohne die FLM zu bilden und Seiner Majestät die Ernennung der bisherigen FLM Minister nicht mehr vorzuschlagen. Ich werde statdessen allen konstruktiven Kräften im Haus Verhandlungen für eine Zusammenarbeit anbieten und notfalls auch nicht vor einem Minderheitskabinett zurückschrecken. Vielen Dank.